Jeannine Wagar entdeckt mit über 70 Jahren die Komposition für sich – und liefert ein faszinierendes Debüt zwischen Licht und Schatten.

Manchmal beginnt eine große Reise genau dort, wo andere den Rückzug antreten würden: im siebten Lebensjahrzehnt. Für Jeannine Wagar ist „Into the Night“ kein verspäteter Karrieresprung, sondern ein radikales Statement: Nach jahrzehntelanger Erfahrung als internationale Dirigentin wagt sie den Schritt in die eigene Traumwelt – und die klingt verdammt lebendig.

Dabei ist ihr Debütalbum weit mehr als eine bloße Spielerei mit Sample-Libraries und virtuellen Instrumenten. Wagar formt mit präziser Hand und offenem Herzen eine Musik, die sich zwischen Ambient, Neuer Musik und cineastischer Klanglandschaft bewegt. Mal fragil, mal flächig, mal mit einer Dramatik, wie sie nur eine erfahrene Dirigentin in Klänge gießen kann.

Die neun Stücke gleichen einem nächtlichen Spaziergang durch ein inneres Universum: flüchtige Emotionen, schwebende Harmonien, ein stilles Aufbäumen – alles eingebettet in einen Sound, der trotz seiner digitalen Natur nie künstlich wirkt. Das liegt nicht zuletzt an Wagars Fähigkeit, klassische Klangvorstellungen mit elektronischen Möglichkeiten zu verweben.

Die Übergänge zwischen orchestraler Intimität und sphärischem Drift sind dabei so selbstverständlich, dass man fast vergisst, dass hier keine realen Musikerinnen und Musiker spielen. Und genau da wird es spannend: In diesem virtuellen Orchesterraum trifft jahrzehntelange Live-Erfahrung auf die Freiheit der Digitalität – und Wagar nutzt beides meisterhaft.

„Into the Night“ ist nicht nur eine persönliche Meditation über Zeit, Dunkelheit und Bewusstsein, sondern auch ein musikalisches Plädoyer für die Unendlichkeit kreativer Neugier. Wer hier von Altersmilde spricht, hat nichts verstanden – das ist Avantgarde mit Altersbonus.

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