Shannon Wettstein feiert Italiens Moderne mit feinsinniger Virtuosität und packender Spiellust.

Wenn man beim Gedanken an italienische Musik reflexartig an Verdi, Puccini oder Morricone denkt, schiebt einem Shannon Wettstein mit „Con Grazia“ sehr charmant ein Update unter. Die US-amerikanische Pianistin präsentiert auf ihrem neuen Album nicht weniger als ein Jahrhundert italienischer Klaviermusik – und zwar mit so viel Ausdruck, Präzision und Feingefühl, dass man zwischen Genie und Wahnsinn, zwischen Dodekaphonie und Doppelschlägen gar nicht mehr weiß, wohin man zuerst hinhören soll.

Das Repertoire liest sich wie ein musikalisches Who-is-Who: Von Scelsi über Berio, Donatoni und Sciarrino bis hin zu weniger bekannten, aber keinesfalls weniger interessanten Komponist\:innen wie Sonia Bo oder Giuliano Bracci. Wettstein spielt diese Werke nicht einfach nur – sie durchleuchtet sie, bringt ihre Mikrogesten zum Funkeln und nimmt die Hörer:innen mit auf eine akustische Zeitreise, bei der Altes und Neues einander zuzwinkern.

Da wird etwa Sciarrinos „Anamorfosi“ zur verstörend-schönen Miniatur zwischen Impressionismus und Postdrama, während Berios „Wasserklavier“ auf wenigen Takten ganze Welten zwischen Schubert, Brahms und Abgrund aufzieht. Auch die Werke der Gegenwart, wie Sonia Bos „D’onde“ oder Ivan Fedeles „Antipodes“, profitieren enorm von Wettsteins Fähigkeit, selbst in flüchtigen Klängen Struktur und Bedeutung herauszuhören – ohne ihnen dabei das Geheimnis zu nehmen.

Das Album ist kein Spaziergang, sondern ein Abenteuer für Fortgeschrittene – aber eines, das sich lohnt. Wer bereit ist, sich auf neue Hörgewohnheiten einzulassen, bekommt hier ein hochkarätiges Porträt italienischer Modernismen serviert, das durch Wettsteins souveräne und doch nie distanzierte Interpretation noch an Kontur gewinnt.

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