Zum 80. feiert Keith Jarrett sich selbst – mit einem erhabenen Mitschnitt aus dem Musikverein, der alles andere als kalter Kaffee von gestern ist.

Manche Alben riechen nach Abschied – „New Vienna“ aber lodert. Keith Jarrett, der Grand Seigneur der improvisierten Klavierkunst, kehrt mit diesem Konzertmitschnitt zu einem Ort zurück, der nicht nur für Musikliebhaber sakralen Status besitzt: dem Goldenen Saal des Wiener Musikvereins. Ein Ort, an dem einst Schönberg und Co. musikalische Konventionen pulverisierten – und Jarrett 2016 nicht weniger beherzt improvisatorische Neulandvermessung betrieb.

Der Albumtitel „New Vienna“ ist dabei alles andere als Zufall. Jarrett hat Wien bereits 1991 in seiner Diskografie verewigt – damals sprach er davon, dass diese Musik „die Sprache der Flamme“ spreche. Und siehe da: Auch 25 Jahre später lodert das kreative Feuer wieder – nicht als nostalgische Glut, sondern als lodernder Neuaufschlag. Das Set besteht, wie in der Spätphase seiner Solokonzerte üblich, aus kürzeren, in sich geschlossenen Stücken, die gemeinsam fast wie eine Suite wirken.

Besonders „Part V“, nun auch als Vorab-Single zum 80. Geburtstag veröffentlicht, zeigt Jarrett in Hochform: lyrisch, zart, hingetupft wie mit dem feinsten Pinselstrich – und doch voller innerer Spannung. Überhaupt beeindruckt, mit welcher Leichtigkeit er zwischen impressionistischen Momenten, gospelartigen Miniaturen und beinahe klassischer Strenge changiert.

ECM-typisch ist die Klangqualität makellos – jeder Ton atmet, jeder Hall trägt, ohne je zu aufdringlich zu sein. Dass dieses Album nun – nach Bordeaux, Budapest und München – als vierter Teil von Jarretts letzter Solotournee erscheint, hat Symbolcharakter. „New Vienna“ ist nicht bloß ein Nachtrag. Es ist ein selbstbewusstes musikalisches Vermächtnis, ein Flügelklang, der durch Zeit und Raum schwebt.

Mit 80 Jahren ist Jarrett – obwohl gesundheitlich längst aus dem aktiven Konzertleben zurückgezogen – musikalisch präsent wie eh und je. „New Vienna“ ist der stille Beweis dafür, dass große Kunst keinen Pomp braucht. Nur ein Klavier, einen inspirierten Moment – und Keith Jarrett.

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