
Artist: Jeffrey Schanzer
Album: The Past Is Present
Label: Neuma Records
VÖ: 16.05.2025
Die Erinnerung singt zurück: Jeffrey Schanzer - The Past Is Present
Jeffrey Schanzers Cantata „The Past is Present“ macht die Stimmen seiner Familie hörbar – und lässt Geschichte auf schmerzhaft aktuelle Weise nachhallen.

Wie bringt man das Unsagbare in Musik? Für Jeffrey Schanzer ist die Antwort klar: Indem man es nicht allein erfindet, sondern aus dem Leben schöpft – oder vielmehr aus Überleben. „The Past is Present“ ist keine gewöhnliche Komposition, sondern eine eindringliche Cantata, die Erinnerungen, Traumata und familiäre Zeugnisse in musikalische Form gießt. Das Werk basiert vollständig auf den Aussagen von Holocaust-Überlebenden seiner Familie – gesungen von vier Stimmen, begleitet von einem Streichquartett, Klarinetten und Schlagzeug.
Schanzer verzichtet auf Pathos, was die emotionale Wucht seiner Musik nur verstärkt. Die Eröffnung mit „Lament for Erik“ zieht sofort in ein düsteres Klangbild hinein – so klar umrissen wie ein Schwarz-Weiß-Foto, aber mit den vielen Grautönen von Verlust, Ohnmacht und Überleben. Immer wieder tauchen Themen auf, wiederholen sich, variieren leicht – wie Erinnerungen, die nie ganz verschwinden.
In „A Mother’s Story – 1939-40“ schildert die Mutter die Flucht vor dem Nazi-Blitzkrieg – nicht aus sicherem Rückblick, sondern als klingende Überlebensstrategie. Wenn Du hier keine Gänsehaut bekommst, bist Du vermutlich aus Stein. Dass dieses Werk 2024 neu aufgeführt wurde, ausgerechnet in einem Jahr, in dem antisemitische Narrative und faschistoides Denken wieder aufflammen, ist kein Zufall, sondern bitter nötig.
Sängerisch beeindruckt das Ensemble durch differenzierten Ausdruck – besonders Thomas Meglioranza als trauernder Vater und Brian McCorkle als suchender Sohn balancieren auf dem schmalen Grat zwischen persönlichem Schmerz und kollektiver Trauer. Die Streicher agieren mal solistisch, mal als gequälter Chor, die Klarinetten weben fragile Klangfäden dazwischen, das Schlagzeug setzt akzentuierte Zäsuren wie Faustschläge auf die Brust.
Dabei ist „The Past is Present“ weit entfernt von einem musikalischen Mahnmal mit erhobenem Zeigefinger. Vielmehr stellt es Fragen: Was heißt es, nach dem Holocaust geboren zu sein? Kann man Erbe antreten, wenn es nur aus Verlust besteht? Und wie geht man weiter, wenn das Erinnerte nicht der Vergangenheit gehört?
Die Liveaufnahme aus Brooklyn ist roh, direkt und unbequem – aber gerade deshalb ein künstlerisches Statement gegen das Vergessen. Schanzer gelingt das Kunststück, biografische Geschichten nicht zu illustrieren, sondern durch Musik sprechen zu lassen. Das ist mutig, schmerzhaft – und absolut hörenswert.
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