Rückblick: Night of the Prog XV – 22. bis 24. Juli 2022

  • Artist: XV. Night Of The Prog
  • Venue: Amphitheater Loreley
  • Agentur: WiV Entertainment GmbH
  • VÖ: 22.07.2022

Endlich nach zwei Jahren unfreiwilliger Unterbrechung ging 2022 die legendäre Night of the Prog in der 15. Auflage als Version 3.0 an den Start. Trotz zweier Verschiebungen blieb das Lineup fast so erhalten wie es für das Jahr 2020 geplant war und das international breit gefächerte Publikum war ausgehungert nach 3 Tagen vollgepacktem Programm mit jungen, unverbrauchten Bands und den fast schon üblichen Verdächtigen des Genres.

Tag 1

Los ging es pünktlich um 14 Uhr mit SOULSPLITTER, einer jungen Band aus Rostock, die sich einer Mischung aus cinematischem Progressive Rock und Progmetal verschrieben hat. Als Opener des dreitägigen Festivals langten sie direkt schon kräftig hin und begeisterten die noch eintrudelnden Zuschauer. Man merkte den Gästen an, dass sie nach der langen Zeit ohne ihr heiß geliebtes Festival hungrig auf Livemusik und das komplette Felsenprogramm waren.

Nach diesem schon einheizenden Opener, die ihr neues Album „Connection“ vorstellten, das musikalisch irgendwo zwischen Haken und den alten Riverside zu verorten ist, wurde es mit BLANK MANUSKRIPT richtig bunt auf der Bühne. Das bezieht sich nicht nur auf die Kleidung, sondern auch die dargebotenen Stücke. In die Mischung aus frühen Genesis und King Crimson woben die Österreicher einen bunten Mix aus Jazz, Balkan Jazz, Free Jazz und sogar Reggae ein. Die Mischung wurde dann noch komplettiert mi Chören, die schon fast dem schwedischen Prog-Wohlklang entnommen schienen und verschieden Blasinstrumente wie Saxophon, Quer- und die meist verachtete Blockflöte.

Um dann nach so viel musikalischem Aktionismus wieder runterzukommen, begann der New Artrock Block mit SMALLTAPE, dem Soloprojekt von Philipp Nespital. Nach anfänglichen Soundproblemen, konnte die Truppe beweisen, dass sie sich zu Recht ihren zweiten Auftritt bei der Night verdient hatte. Es wurde wesentlich ruhiger im musikalischen Sinne und damit auch statischer auf der Bühne. Dafür wurden die Klangteppiche dicht gesponnen und entführten die Besucher bei den hitzigen Temperaturen zumindest gedanklich in kühlere Gefilde.

Der zweite Slot des New Artrock Blocks wurde mit den englischen ReComern von PURE REASON REVOLUTION besetzt, die „leider“ nicht mit Chloe Alper anreisten, sondern mit Annicke Shireen, was dem Auftritt allerdings keinerlei Abbruch tat. Die Band um Annicke und Jon Courtney bewiesen einmal mehr, dass sie zur Speerspitze dieses Genres gehören. Durch ihre Spielfreude und ihr starkes Set erhielten sie riesigen Zuspruch beim Publikum.

Den letzten Teil dieses Blocks übernahmen die Freitags-Co-Headliner von THE PINEAPPLE THIEF mit ihrem Fronter Bruce Soord und Gavin Harrison, der Drum-Maschine. So viel Lust auf Konzert man bei Bruce Soord und den anderen Bandmitgliedern verspürte, so wenig Emotion konnte man von der Maschine hinter den Fellen, Gavin Harrison, ablesen, der absolut abgeklärt ohne eine Miene zu verziehen sein Set (natürlich grandios) runtertrommelte. Das Set bestand aus allen Teilen der Bandära und sprach so die meisten im Publikum an, die die Briten frenetisch feierten.

Den Abschluss des ersten Tages machte das Folk-Prog-Urgestein RENAISSANCE, deren Sängerin Annie Haslam, die das dienstälteste Bandmitglied ist. Aufgrund ihres Kultstatus, der wenigen Auftritte auf dem europäischen Festland und des schon fortgeschrittenen Alters der meisten Bandmitglieder konnten sich alle Festivalbesucher glücklich schätzen, diese Formation noch einmal gesehen zu haben. Dies waren aber auch schon die einzigen Beweggründe der Band mehr als drei bis vier Songs an Aufmerksamkeit für diesen Auftritt zu widmen, denn was Annie Haslam stimmlich darbot, war schon recht grenzwertig und manchmal ganz schön daneben. So war es auch nicht verwunderlich, dass sich Großteile des Publikums nach den besagten drei bis vier Stücken auf den Weg zu ihren Zelten, Autos oder dem Transfershuttle machten.

Tag 2

Tag 2 des dreitägigen Hitze-Musik-Marathons eröffnete die Nachwuchsband SENTRYTURN aus Berlin, deren Mitglieder sich selbst als Hobbymusiker bezeichnen. Für einen Newcomer und Tagesopener erreichten sie durch ihren Mix an ruhigeren und härteren Stücken im Wechsel ein Vielzahl des sich immer zahlreicher ansammelnden Publikums vor der Freilichtbühne.

Als Blank Manuskript des zweiten Tages sollten sich die Argentinier von FUGHU herausstellen. Hier war viel geboten für die Ohren und Augen der Zuschauer. Mit ihrer modernen Prog Metal Spielart, die man zwischen Dream Theater und Symphony X ansiedeln kann und einigen Kostümwechseln des Sängers mit entsprechenden theatralischen Einlagen zogen sie die Zuschauer immer weiter in ihren Bann. Für Human Way luden sie noch Santiago Burgi, einen Opernsänger auf die Bühne ein, der ein verdammt gutes Intermezzo ablieferte, auch wenn einige erstmal skeptisch waren.

Nach so viel Power und Enthusiasmus muss auch an diesem zweiten, heißen Festivaltag das Publikum runtergekühlt werden. TRAUMHAUS betraten seit 2014 zum zweiten Mal die Bühne der Night Of The Prog. Dieses Mal mit einem (krankheitsbedingten) Novum: der Großteil des Gigs wurde in Englisch von Paul Adrian Villarreal vorgetragen. Aufgrund seiner Stimmfarbe und dynamischeren Intonation verlieh der Gastsänger den Stücken einen ganz neuen Glanz. Alexander Weyland, der eigentliche Fronter, ließ es sich trotz Stimmband-OP nicht nehmen das Epos „Das Vermächtnis“ selbst auf Deutsch vorzutragen.

Viele Anhänger zogen die Neo-Prog-Urgesteine von JADIS vor die Bühne, die viele alte Stücke vortrugen und natürlich von einem zurückgekehrten Martin Orford profitierten. Es blieb ein wenig statisch auf der Bühne, trotzdem zog das Tempo ein bisschen an, was die Vorfreude auf den samstäglichen Co-Headliner steigerte.

Mit LAZULI folgte eine Band, die definitiv zu den Lieblingen der Festivalgemeinschaft gehört und in diesem Jahr bereits nach 2009, 2012 und 2015 zum vierten Mal zu Gast war. Mit ihrer Energie, ihrer wunderbar positiven Ausstrahlung und den tollen Versuchen, die Ansprachen auf Deutsch zu halten gewannen sie zum wiederholten Mal die Herzen der Besucher. Den erst kürzlich aus der Band ausgeschiedenen Gitarristen Gédéric Byar ersetzte Arnaud Beyney. Auch wenn optisch ein Leuchtturm fehlte, so ersetzte ihn der „Neue“ musikalisch trefflich und man merkte, dass die Band ihn ohne Brüche integriert hat. Das eindreiviertelstündige Set riss die Besucher so mit, dass die Zaungäste hinter der Bühne (Nad Sylvan, Roger King und Rob Townsend – Steve Hackett Band) aus dem Staunen nicht mehr herauskamen und sich wohl Gedanken machten, wie man den Spannungsbogen als Headliner halten könne. In das Set integrierte die Band einen Song des für den Herbst angekündigten neuen Albums. Zum krönenden Abschluss des Gigs kam es zum bekannten Ritual „9 Hands Around The Marimba“.

Ob dieser furiosen Vorstellung der Franzosen, wagten es die Mannen und Amanda Lehmann um STEVE HACKETT, den Verwalter des „alten“ Genesis-Kosmos, die Bühne zu betreten und ihr Programm „Seconds Out & More“ vorzuführen. Nach den ersten beiden Songs „Every Day“ und „Shadow oft he Hierophant“ wurde die komplette „Seconds Out“ aufgeführt mit „Dance On A Volcano“, einem Drum Solo von Fellbearbeitungsmeister Craig Blundell und „Los Endos“ als Zugaben. Leider schien Nad Sylvan stimmlich nicht ganz auf der Höhe gewesen zu sein, denn an einigen Stellen patzte das Peter Gabriel Stimmedouble. Dass man mit den alten Genesis-Songs nie verkehrt liegt beim betagteren Progpublikum bewies ein weiteres Mal diese Show von Hackett. Es war alles schon zigmal gespielt und gehört (außer Hackett in dieser Deutlichkeit bei „Seconds Out“) und barg nichts Neues für den Hörer.

Tag 3

Der dritte und heißeste Tag des Festivals begann gleich schweißtreibend mit den Norwegern von INFRINGEMENT. Voller Energie, total auf- und abgedreht (wie aus der Irrenanstalt) jagten die Jungspunde alle aus dem noch verschwitzten Halbschlaf. Die teilweise sehr theatralische Bühnendarstellung der Band wurde wohl vom nicht nur musikalischen Vater Morten L Clason (The Windmill) des Gitarristen Stig André in die Band eingeschleust. Der Sänger rannte in Zwangsjacke über die Bühne oder auch mit einer dreigesichtigen Maske quer durchs Auditorium.

Nach solch einem fast morgendlichen Par-Force-Ritt mussten die Gemüter wieder runtergekühlt werden, was mit VOYAGER IV und einer sehr jazzigen, aber umso feineren Neuinterpretation der „Bilder einer Ausstellung“ und einer Voyager-IV-Version des Keith Emerson Klassikers „Lucky Man“ rundum gelang.

Nach dieser kurzen Abkühlung wurde es reichlich voll und bunt auf der Bühne. Denn es betrat das Musikerkollektiv von WIRED WAYS die Bühne, eine wirklich bunt zusammengewürfelte Truppe von langjährig gedienten Musikern, die sich zusammentaten, um ihr wildes Debütalbum aufzunehmen und gleich auf der Night of the Prog uraufzuführen. Vielleicht führte die Freundschaft zwischen Frank Grabowski (Artwork) und Winfried Völklein zu diesem Auftritt. Mit ihrer Mischung aus klassischem Prog der Frühzeit, Anleihen aus Psychedelia, Blues Rock, Jazz, Weltmusik und einer Prise Reggae verzauberten diese Truppe das Publikum und sorgte irgendwie für den sommerlichen Soundtrack des diesjährigen Festivals. Für einige Glückliche gab es am Merch-Stand eine kleine Anzahl an Pre-Sale-Exemplaren des Debütalbums, das am 09. September erscheint.

Mit BAROCK PROJECT betrat die erste der beiden italienischen Bands des Sonntags die Bühne. Die der klassischen Musik entliehenen und in den Prog transferierten Kompositionen hat die Band mit Bravour, auch Dank Alex Mari (Frontmann), dem Publikum nähergebracht.

COLOSSEUM – auch so ein Urgestein des Rock. Die Skepsis war riesig, ob die alten Recken (Chris Farlowe, Clem Clempson und Mark Clarke) verstärkt durch Ex-Gentle Giant Drummer Malcolm Mortimore und Kim Nishikawara als Ersatz für die leider kürzlich verstorbene Saxophonistin Barbara Thompson noch was reißen können oder auch ein Negativbeispiel für veraltete Bands sein würden. Chris Farlowe, dem man das Kind im Greis (er ist immerhin fast 82!) immer noch ansieht, war erstaunlich gut bei Stimme und brachte den kernigen Blues/Bluesrock ehrwürdig und glaubhaft rüber. Ein Höhepunkt des Auftritts war die „Valentine Suite“, die Barbara Thompson gewidmet wurde.

RPWL, die Band, die sich immer anhört, als wären sie ein Sideproject eines Pink Floyd Mitglieds, sollten als vorletzte Band in den Sonntagabend starten. Mit ausladenden Gitarrensoli von Kalle Wallner und traumhaften, floydesken Klangteppichen sorgten sie an diesem heißen Abend für einen perfekten Tagesausklang. Um die Pink Floyd Anhänger noch zu befriedigen setzten sie noch „Cymbaline“ und „Atom Heart Mother“, sowie den Syd Barrett Klassiker „Opel“ auf ihre Setlist.

Den Abschluss des Festivals bestritten Premiata Forneria Marconi, auch besser bekannt als PFM, die italienische Prog-Kultband um Franz Di Cioccio. Dieser Auftritt war ein ehrwürdiger Abschluss für dieses Festival, dessen Existenz durch Corona und unrühmlichen Auftritte zwischen Pächter und Stadt immer wieder bedroht schien. Franz Di Cioccio, der nicht müde wurde im Dauerlauf zwischen Schlagzeug und Mikrofonständer, hatte immer noch Luft für kleine Anekdoten und Scherzchen mit seinen Bandkollegen. Auch diese Seniorenband machte den musikalischen Ausfall des Freitagabends wieder wett.

Und so werden sich hoffentlich wieder Junge, Junggebliebene und Senioren im nächsten Jahr zur 16. Night of the Prog auf dem Loreley-Felsen treffen und dem Gott der Musik im Amphitheater huldigen.

 

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